Ein Interview mit der ehemaligen bayerischen Landesschülersprecherin (Schuljahr 2020/2021) für Berufliche Schulen Mouna Nifer.
Im Januar 2021 (Schuljahr 2020/2021) wurde Mouna Nifer zur bayerischen Landesschülersprecherin für Berufliche Schulen gewählt. Sie ist Schülerin an der Berufsfachschule für Büroberufe am bbs nürnberg, dem Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte. Dort absolviert sie aktuell eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement. Ich freue mich, Ihnen folgendes Interview mit der jungen Frau aus einem etwas anderen Blickwinkel präsentieren zu dürfen.
Matthias Meier: Wer steckt hinter dem Namen Mouna Nifer? Stellen Sie sich bitte kurz vor?
Mouna Nifer: Wie bereits bekannt, heiße ich Mouna Nifer und komme aus München. Meine Eltern stammen aus Tunesien und somit spreche ich neben Deutsch auch Englisch, Französisch und Arabisch. Aktuell bin ich im Abschlussjahr zur Ausbildung als Kauffrau für Büromanagement und vorher war ich inklusive Schülerin auf dem Gymnasium. Meine Freizeit gestalte ich gerne aktiv und setze mir im Alltag immer wieder kleine Herausforderungen. Ich fahre unheimlich gerne mit dem Tandem auf Rennradbahnen, spiele Klavier und finde es schön, andere Orte zu besuchen, was mir auch durch meine Ehrenämter verstärkt möglich war. Jedoch muss ich sagen, dass viele Veranstaltungen aufgrund der aktuellen Situation online stattfanden. Das einiges digital stattfindet, ist für mich, mit einer genetischen Augenerkrankung, tatsächlich gar nicht mal so schlecht, ganz im Gegenteil. Seit der 6. Klasse habe ich eine Sehbehinderung und sehe mittlerweile nur noch etwa 2%. Die Augenverschlechterung ist schleichend geschehen und man kann sich meine Sehleistung so vorstellen, als würde ein Handy mit weniger als 2% Akku laufen. Im zentralen Bereich (mittiges scharfes Sehen) erkenne ich nichts mehr, nur im äußeren Bereich erkenne ich noch schemenhaft Objekte und Farben. Das ist in etwa so als würde man durch ein Milchglas schauen oder eine wirklich schlechte Kamera nutzen. Man kann sich das so ähnlich wie ein Pixelbild bei den ersten Kameras in Nokia Handys vorstellen. Dazu treten flackernde Spezialeffekte wie bei einem alten Röhrenfernseher auf.
Matthias Meier: Welche Berufsausbildung absolvieren Sie aktuell? Weshalb absolvieren Sie genau diese Berufsausbildung? Wie läuft Ihre Berufsausbildung ab? Wie sind Sie dazu gekommen? Wo absolvieren Sie Ihre Berufsausbildung? Weshalb absolvieren Sie Ihre Berufsausbildung genau an dieser Schule? Warum ist diese Schule so besonders?
Mouna Nifer: Nun, nachdem ich auf dem Gymnasium in München inklusiv beschult worden bin und dort nicht immer die passende Unterstützung erhalten habe, aber sehr viele hilfsbereite Menschen kennen lernen durfte, musste ich mir nach der 12. Klasse überlegen, welche alternativen Möglichkeiten für mich weiter offen stehen. Ich entschied mich deshalb, erstmal für eine Ausbildung und musste mir dann überlegen, was ich überhaupt mit einem geringem Visus (Sehschärfe) schaffen kann. So wagte ich mich, was für mich ein großer Schritt war, nach Nürnberg und habe dort eine Berufsschule gefunden, welche auf blinde und sehbehinderte Menschen ausgerichtet ist und unterschiedliche Möglichkeiten für eine berufliche Ausbildung anbietet. Ich war erstaunt, was alles möglich ist, welche unterschiedlichen Ausbildungs- und Unterstützungsmöglichkeiten (z. B. Reha-Bereich, Freizeitbereich etc.) und Fachstellen (z. B. Beratungsstelle Sehen) angeboten werden. Für fast alle Bedürfnisse gibt es etwas bzw. wird versucht, etwas Passendes zu ermöglichen. Der größte Vorteil für mich persönlich ist hier, dass ich lediglich einen 5-minütigen Schulweg habe. Das hat mir sehr zugesagt. Wem würde das bitte nicht gefallen? Ein Unterschied zu einer Ausbildung im dualen System ist, dass ich hier eine vollschulische Ausbildung im kaufmännischen Bereich absolviere und den gleichen Abschluss erwerben kann. Dabei erhalte ich alle Unterlagen und Materialien digital und barrierefrei und kann diese mit meinen persönlichen und individuellen Arbeitsgeräten und Hilfsmitteln auf dem PC bearbeiten, was mir in meiner inklusiven Schullaufbahn bisher nicht immer ermöglicht werden konnte.
Matthias Meier: Welche technischen Geräte und anderweitige Gadgets nutzen Sie privat und schulisch/beruflich, und weshalb? Wie bewältigen Sie Ihren privaten sowie Ihren beruflichen/schulischen Alltag? Welche Arbeitsgeräte und Hilfsmittel nutzen Sie?
Mouna Nifer: Das ist eine Frage, die sehr umfangreich zu beantworten ist. Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich glücklicherweise und auch gezwungenermaßen sehr digital unterwegs bin. Ohne Handy, Laptop und andere technische Gadgets, wäre mein Alltag eher schwierig zu bewältigen. Im Alltag verwende ich so zum Beispiel diverse Apps und künstliche Intelligenz zur Navigation, für mein Zeitmanagement, zum Vorlesen von Gedrucktem, für die Farberkennung, zur Produkterkennung, zum Bücher anhören etc.. Je nach Bereich benötige ich etwas anderes. Beispielhaft in meinem Alltag kann ich so den Bereich Orientierung und Mobilität beschreiben. Ich verwende einen Langstock zur Umgebungserfassung und um Gegenstände wahrzunehmen. Zusätzlich nutze ich mittlerweile meinen stärker trainierten Gehörsinn. Dadurch bekomme ich, während ich unterwegs bin, zum Beispiel mit, an welcher U- Bahn Station ich bin oder wo sich die Türen gerade öffnen.Als ich noch besser gesehen habe, nutzte ich in der Schule eine App, welche mir gedruckte Texte in Schwarzschrift, nachdem ich diese abfotografiert hatte, vorgelesen hat. So konnte ich Texte aus Büchern durcharbeiten. Mittlerweile nutze ich auf einem Laptop eine Sprach- und Auslese-Software, welche mir alle Inhalte des Bildschirmes vorlesen kann. In bzw. neben meiner Ausbildung lernte ich außerdem das 10-Finger-System und beherrsche nun das blinde Tippen und Tastschreiben sowie das Navigieren mit Shortcuts. Auch die Blindenschrift (sog. Brailleschrift) habe ich gelernt und kann daher zusätzlich zur Software eine Braillezeile nutzen. Man kann sich die Braillezeile wie eine Art zusätzliche Tastatur vorstellen, welche an den Laptop via USB angeschlossen wird und zusätzlich die Inhalte des Bildschirms in Punktschrift darstellt, sodass diese mit den Fingern ausgelesen werden können. Es ist erstaunlich, welche technischen Möglichkeiten es heutzutage gibt um sich Arbeitsmaterialien passend zu gestalten. Auch erleichtern unterschiedliche Vergrößerungssysteme mit Kontrast, Lupe und viele Apps für das Handy etc. den Alltag und helfen ungemein.
Matthias Meier: Was hat Sie dazu bewegt, sich zur Schülersprecherin für Berufliche Schulen aufstellen lassen?
Mouna Nifer: Als Schülersprecherin habe ich mich vor allem aufstellen lassen, weil ich an meiner Berufsschule Projekte organisieren, den Alltag etwas verändern, etwas gemeinsam gestalten und anderen mit meinen gesammelten Erfahrungen Hilfe und Unterstützung anbieten wollte. Kurz nach dieser Wahl war auch schon die Bezirksaussprachetagung (Mittelfranken), bei welcher alle Schüler:innen der Beruflichen Schulen eingeladen waren und ich als Vertreterin meiner Schule teilgenommen hatte. Es war sehr spannend zu sehen, welche unterschiedlichen Berufe aufeinander trafen und mit welchen Schwierigkeiten die Berufsschulen zu kämpfen haben. So ließ ich mich dort ebenfalls aufstellen und wurde als 1. Bezirksschülersprecherin gewählt. Das war bereits schon im vorvorletzten Schuljahr. Nachdem der Schuljahresneustart 2020/2021 leider während der Zeit der Corona-Krise stattfand, wurden die Tagungen nur noch digital abgehalten und ich wurde wiedergewählt. Als „Bezi“ hat man viele unterschiedliche Aufgaben. Die Planung und Organisation dieser Tagungen auf Bezirksebene ist eine davon und die Teilnahme an der Landesschülerkonferenz ist eine weitere. Außerdem ist man das Bindeglied zwischen der Landes- und Bezirksebene sowie zwischen der Bezirks- und der Schulebene, um Informationen weiterzuleiten oder Projekte zu organisieren, die Schülersprecher zu beraten und Ideen für ihre Berufsschulen zu diskutieren, gemeinsame Projekte mit anderen Schulen zu organisieren und zu planen oder sich und andere untereinander zu vernetzen. Auf der Landesschülerkonferenz versammeln sich alle gewählten Bezirksschülersprecher von allen Schularten in Bayern und wählen dann den Landesschülerrat. Dieser besteht aus jeweils 2 Landesschülersprecher:innen der jeweiligen Schularten wie Realschule, Berufsschule etc.. Dabei vertraten Jana Schuster und ich die Stimmen der Schülerschaft der Beruflichen Schulen in ganz Bayern, was in den Pressemittelungen des Landesschülerrates oder in Austauschgesprächen mit Kultusminister Herrn Prof. Dr. Michael Piazolo, der Staatssekretärin des Kultusministeriums für Unterricht und Bildung, den Elternverband, den Lehrerverband und weiteren dargestellt wurde.(https://www.km.bayern.de/lehrer/meldung/7164/landesschuelersprecher-setzen-sich-fuer-interessen-der-schueler-ein.html)
Matthias Meier: Welche Erfahrungen konnten Sie in den vergangenen Monaten im Rahmen Ihres Amtes sammeln? Was fanden Sie besonders spannend?
Mouna Nifer: Es sind ganz vielfältige Erfahrungen, die ich sammeln durfte. Ich konnte interessante Persönlichkeiten, jung und alt, kennenlernen und habe einen Einblick in die politische Bildungssituation bekommen. Außerdem konnte ich mich in diesem Rahmen mit den Schreiben des KMS zu allen Schularten beschäftigen und dadurch nachvollziehen, wie viel Arbeit in diesem/vergangenen Schuljahr den Schulleitungen und den Lehrkräften aufgetragen wurde. Zudem durfte ich Tagungen und Projekte organisieren und leiten, an Sitzungen des Landesschülerrates teilnehmen, mich mit verschiedenen Kommunikationstools beschäftigen, mich sehr oft und lange über die Corona-Situation sowie den Maßnahmen und den Folgen beschäftigen, an Interviews und Podcasts teilnehmen und mitwirken und vieles mehr. Unsere Anliegen formulierten wir in Form von Anträgen und leiteten diese an die zuständigen Stellen weiter. Ich habe z. B. den Antrag gestellt, dass es in Zukunft barrierefreie Schulbücher gibt. Damit hätten Menschen mit Behinderung oder einer anfänglichen Sprachbarriere von Anfang an die gleichen Bildungschancen und müssten nicht eine lange Zeit warten bis sie die entsprechenden Lehrmittel nutzen können. Ein weiteres Anliegen war beispielsweise unsere „Aktion Botschaft“, bei der ein Aufruf gestartet wurde, alle Meinungen und Anliegen der Berufsschulen zu sammeln und diese Botschaften weiterzugeben. Das fand ich besonders spannend.
Matthias Meier: Welche Erfahrungen haben Sie in Zeiten von Corona und fortschreitender Digitalisierung gemacht bzw. machen dürfen, privat sowie schulisch und beruflich? Inwiefern ist das digitale Arbeiten für Sie vielleicht von Vorteil?
Mouna Nifer: Es ist sehr praktisch, sich von einem Ort digital einzuwählen und mit Menschen an unterschiedlichen Orten zu kommunizieren. Es spart auf alle Fälle Zeit. Einerseits heißt das konkret für mich, dass ich weniger Wege erlernen und bewältigen musste, um von einem Ort zum andern zu kommen, andererseits wurde ich jedoch mit vielen Barrieren bei Kommunikationstools oder visuellen Darstellungen konfrontiert. Zu Beginn habe ich auch mit banalen Aufgaben Schwierigkeiten gehabt, wie zum Beispiel mit dem richtigen Platzieren der Kamera. Und auch das kurzfristige Ein- und Ausschalten des Mikrophons, wenn man sprechen oder nicht mehr sprechen wollte, war nicht immer ganz leicht. Ich vermute stark, dass das auch für viele Sehende eine große Umstellung war, oder etwa nicht? Als Fazit sei bemerkt, dass analoges Arbeiten nicht zwangsläufig eine Barriere darstellt und digitales Arbeit nicht zwangsläufig barrierefrei ist.
Matthias Meier: Welche Bedeutung hat für Sie das Thema Inklusion im Kontext von Arbeit? Wie wichtig ist das Thema für Sie persönlich?
Mouna Nifer: Dazu gibt es sehr viel zu sagen. Ich finde, bevor es um das Thema Arbeit geht, sollten wir in Deutschland und in Bayern noch an vielen Punkten im Bereich Bildung arbeiten, da ich der Ansicht bin, dass es hier insgesamt viel Verbesserungspotential gibt. Die Chancengleichheit für sozialökonomisch Benachteiligte und Menschen mit Behinderung ist noch lange nicht gegeben. Das sollte unbedingt weiter vorangetrieben werden. Alleine der Aspekt, dass man kaum adäquate Beratung erhält, wo man beispielsweise mit einer Sehbehinderung eine Berufsausbildung beginnen oder auf einer weiterführenden Schule seinen Abschluss absolvieren kann, sollte zum Nachdenken und Grübeln anregen. Für mich persönlich hat das zum Beispiel bedeutet, dass ich für meine Ausbildung von München nach Nürnberg gezogen bin, da ich dort bessere Voraussetzungen vorgefunden habe als anderswo.
Das Thema Inklusion an sich ist ein äußerst umstrittenes Thema und ich finde, es sollten mehr direkt Betroffene gefragt werden. Außerdem sollte diesem Thema auch mehr Medienpräsenz gewidmet werden, da es nicht nur um Menschen mit einer körperlichen Herausforderung geht, sondern auch viele weitere Bereiche wie beispielsweise Sehen, Hören, soziale Herkunft, etc. betroffen sind. Inklusion wird als Methode gesehen, dabei ist es das Ziel. Die Methoden die zur Inklusion führen bleiben oft unklar und undefiniert. Hier kann man auch gut das Thema Barrierefreiheit ergänzen. Barrierefreiheit, egal ob zum Beispiel baulich oder digital bei Lernmedien, bringt allen Menschen etwas und führt zu einer höheren Selbstständigkeit, also zur Bewältigung des privaten sowie des schulischen und beruflichen Alltags. Barrierearme Bücher und barrierearmer Unterricht für alle und ohne Sonderbehandlung ist meiner Meinung nach extrem wichtig, denn erst wenn in diesem Bereich mehr gefördert und gemacht wird und überhaupt ein Verständnis herrscht, kann ein Umdenken entstehen. Wenn man einen niederschwelligen und barrierefreien Zugang zu Informationen hat, kann man selbständig lernen und sich bilden. Wenn man eine gute (Aus)Bildung hat, erhöht das die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, trotz Handicap, oder nicht?
Matthias Meier: Wo sehen Sie die Herausforderungen für den Arbeitsmarkt (Stichwort: Inklusion)?
Mouna Nifer: Der Arbeitsmarkt ist vielfältig und somit sind es auch die Möglichkeiten und Optionen. Jedoch kommt es sehr häufig vor, dass Menschen mit Einschränkungen schon beim Bewerbungsprozess selbst Probleme haben (Stichwort: digitaler barrierefreier Zugriff auf die entsprechenden Portale). Hier kann man durchaus von Hürden bzw. Barrieren sprechen. Außerdem stellt sich mir oft und immer wieder die Frage, ob ich an dieser Stelle des Bewerbungsprozesses schon angeben soll, dass ich eine Behinderung habe oder nicht. Gebe ich das an, ist die Chance oftmals eher kleiner als bei anderen Bewerbern ohne Beeinträchtigung, eine Runde weiter zu kommen, was durch Studien bewiesen ist. Gleiche Chancen können nur geschaffen werden, wenn Vorurteile verschwinden und die Bereitschaft von allen Seiten besteht, aktiv daran zu arbeiten. Bis auf einige große bzw. sichere Arbeitgeber gibt es leider noch nicht so viele Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt.
Matthias Meier: Welche Barrieren sind Ihnen bei der Ausführung Ihres Amtes schon begegnet? Wie relevant ist in diesem Kontext der Begriff Barrierefreiheit für Sie? Was geht für Sie damit einher?
Mouna Nifer: Einige Punkte habe ich ja bereits in den vorstehenden Fragen beantwortet. Für mich persönlich war es beispielsweise schwierig, dass ich die Inhalte gedruckter Dokumente nicht immer auslesen konnte, z. B. wenn die Informationen sehr visuell (als Bilder, Grafiken, Diagramme etc.) dargestellt sind. Auch hatte ich Schwierigkeiten, den richtigen Raum und den richtigen Ort bei Präsenztagungen zu finden. An dieser Stelle muss ich ergänzen, dass ich wirklich eine tolle Unterstützung von allen Beteiligten bekommen habe. Und immer, wenn ich klar mitgeteilt habe was ich brauche und was es für alternative Möglichkeiten gibt, wurden diese berücksichtigt. Es waren sehr aufmerksame und hilfsbereite Leute mit dabei, das heißt aber nicht, dass ich keine Momente der Verzweiflung hatte. So zum Beispiel als ich vor meinem Bildschirm saß und nichts aber auch wirklich gar nichts funktionierte und mir auch kein Außenstehender bei meinen technischen Problemen helfen konnte. Das sind die nicht so schönen Seiten.
Matthias Meier: Was erwarten Sie von Politik und Gesellschaft bzgl. der Thematik Inklusion im Beruf? Was wünschen Sie sich?
Mouna Nifer: Wie bereits schon erwähnt, ist eine umfassende Beratung schon ein sehr großer Aspekt, denn wie viele Menschen kennt man, die inklusiv beschult werden oder wurden? Wie viele haben in der Schule mit dem Thema Behinderung überhaupt schon einmal etwas zu tun gehabt? Sollte man Förderschulen wirklich weiterhin unterstützen oder andere Maßnahmen ergreifen? Ich kenne beide Seiten und beiden Seiten haben sowohl Vor- als auch Nachteile. Ich denke nicht, dass wir mit dem, wie es aktuell läuft, grundsätzlich zufrieden sein können. Es gibt noch viele offene Fragen und enorm viel Luft nach oben. Inklusion läuft nicht unbedingt schlecht, aber wie leicht hat es ein Förderschüler beispielsweise auf eine Regelschule zu kommen? Und ist es immer hilfreich, grundsätzlich solche unterschiedlichen Schularten zu bilden? Wie viele gut ausgebildete Fachkräfte in den unterschiedlichen Förderbereichen gibt es? Kennt man die Hindernisse mit denen man im Schulalltag konfrontiert wird wirklich? Ein kleiner Hinweis am Rande: Laut dem Inklusionsbarometer Arbeit stieg die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung 2020 in kürzester Zeit auf den höchsten Stand seit 2016. Es sieht also so aus, als ob es schlechter und nicht besser würde. Inklusion, ein schönes Etikett und mehr nicht?
Matthias Meier: Welche Themen liegen Ihnen in Ihrem Amt besonders am Herzen?
Mouna Nifer: Leider haben die Beruflichen Schulen eine Sonderposition, wie wir auch während Corona mitbekommen haben. Viele Regelungen galten nicht für uns und gemeinsam mit Jana Schuster habe ich versucht, mehr Transparenz zu schaffen und die Stimmen der Schüler, vor allem in Bezug auf die Notengebung während der Corona-Zeit, zu vertreten. Wir wollten, dass das Thema Kommunikation mehr im Vordergrund steht. Themen, die ich vertreten durfte, waren zum Beispiel Gleichberechtigung in der Bildung, weniger Rassismus an Schulen, bessere Persönlichkeitsentwicklung und passende Förderung und Inklusion.
Matthias Meier: Was können oder wollen Sie sonst noch sagen?
Mouna Nifer: Ich wünsche mir, dass sich die Schulfamilien untereinander besser unterstützen, das heißt mehr Initiative zeigen und ihre ehrliche Meinung stärker vertreten und somit Feedback weitergeben, denn nur wenn man äußert, was sehr gut klappt oder auch nicht und was man sich wünscht, kann eine Lösung von Seiten der Schüler:innen und auch der Lehrkräfte gefunden werden. Durch Projekte und neue Ideen entsteht Großartiges und so kann auch schon im kleinen Rahmen einiges bewirkt werden. Einfach loslegen und Ideen umsetzen. Das ist meine Devise. Was mich persönlich und durch die Erfahrung in meinen Ehrenämtern weitergebracht hat kann durch das folgende Zitat treffend beschrieben werden: „Behandle die Menschen so, als wären Sie, was Sie sein sollen und du hilfst Ihnen zu werden was Sie sein können.“ (Goethe). Im Kontext von Bildung, Inklusion und Partizipation finde ich dieses Zitat äußerst aussagekräftig. Es sollte mehr genannte und gelebt werden, damit Veränderungen bewirkt werden können. In Bezug auf Veränderungen wünsche ich mir diese natürlich auch verstärkt im bildungspolitischen Bereich.Außerdem möchte ich mich für dieses Interview, für jeden einzelnen Schüler der sich in der Corona-Pandemie eingesetzt hat, bei den Lehrern die es nicht leicht hatten, bei allen Schulleitungen von denen unheimlich viel gefordert wurde und auch bei allen Menschen die mich persönlich und den Landesschülerrat unterstützt haben sehr herzlich bedanken. Vor allem auch bei Herrn Zink und Herrn Kolmeder vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus sowie bei Herrn Neuger von der Regierung von Mittelfranken und nicht zu vergessen, bei meiner Schulleitung die mich, wie selbstverständlich, bei der Ausübung meiner Ehrenämter unterstützt hat.
Interview / Text: Matthias Meier
Wirtschaftspädagoge & Sonderpädagoge am bbs nürnberg