Viele unserer Schüler fahren Tag für Tag mit der U-Bahn, dem Bus oder der Straßenbahn. Doch am 3. Mai 2017 bekamen rund 50 Berufsschüler des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte in Nürnberg die Möglichkeit, hinter die Kulissen eines U-Bahnhofs zu schnuppern. Zusammen mit dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB), dem Mittelfränkischen Blindenheim und der Besatzung unseres Rehabereichs, nahmen die Schüler an dieser Exkursion zum U-Bahnhof „Nordwestring“ teil. Der „Nordwestring“ deckt mit einer Reihe weiterer Stationen ab dem 22. Mai 2017 den Bereich der Nordstadt noch besser ab. Mit der vollautomatisierten U-Bahn U3 kann der neu erbaute Bahnhof ab diesem Zeitpunkt öffentlich erreicht werden. Dank der VAG (Verkehrsaktiengesellschaft Nürnberg) und der Stadt Nürnberg konnten die Teilnehmer schon vorher alle Neuerungen besichtigen und sogar ausprobieren!
Wir verließen die Schule um ca. 08:30 und fuhren bis zur Station „Nordwestring“, natürlich mit dem Bus, weil der neue Bahnhof noch nicht angefahren wird. Da wir schon etwas früher als geplant ankamen, warteten wir bei Sonnenschein und einer milden Frühjahrsluft auf den Rest und tranken dabei genüsslich einen Kaffee. Gegen 10:00 Uhr wurden dann für uns „die Tore geöffnet“! Nach und nach durften wir als erste Besucher in den U-Bahnhof Nordwestring. Herr Zeitler, Behindertenbeauftragter der VAG, begrüßte und teilte uns anschließend in insgesamt fünf Gruppen mit jeweils fast 25 Leuten ein. Angelika Lamml kümmert sich um die Koordination von Barrierefreiheit, Schulungen und Kommunikation für die Bezirksgruppe Mittelfranken. Sie hielt neben Herrn Zeitler ebenfalls eine Begrüßungsrede und wirkte bei der Organisation dieser Veranstaltung maßgeblich mit. Nach der Einteilung ging es sofort los.
Jede Gruppe bekam einen VAG-Mitarbeiter als Gruppenleiter, der das nötige Know-How hatte, um uns alles zu erklären. Meine Gruppe fing gemeinsam mit Herrn Zeitler beim Erkunden des Blindenleitsystems am Bahnsteig an. Wir durften mit dem Blindenstock den Bahnsteig am der Leitlinie entlang ablaufen und jedes Noppenfeld wurde mit seiner Funktion erklärt. Sehr wichtig sind dabei die Markierungen für den Kurzzug, den Aufzug und die Treppen. An den Treppen selbst ist in Brailleschrift und taktiler Profilschrift jeweils die Information angebracht, wohin es, je nach Ausgangspunkt, hingeht. Die Beschriftungen waren sehr deutlich zu erkennen und selbsterklärend. „Gustav-Adolf-Straße, R“ beschrieb sicher, dass sich vom aktuellen Punkt ausgehend die U3 zur genannten Haltestelle auf dem rechten Gleis befindet und auch dort abfährt. Die Beschriftung rechts am Geländer ist hierbei zu beachten. Die Kurzzugmarkierung stellte im Gesamten das wichtigste Feld dar, da – gerade abends – oft solche Züge eingesetzt werden. Damit eine blinde Person nicht ewig die Tür sucht oder vielleicht Schlimmeres passiert, kann man sich an diese Markierung stellen. So ist man sich immer sicher, dass ein Zug vor einem steht. Nachdem wir das System kennen lernten, durften wir den Aufzug benutzen, um das System in der Kabine zu betasten. Die Knöpfe sind auch hier mit Brailleschrift deutlich gekennzeichnet und zusätzlich weisen Pfeile auf entsprechende Informationen hin, wie z.B. Straßenebene, Notruf oder U-Bahnebene. Anschließend durften wir die Oberfläche mit dem damit verbundenen Blindenleitsystem abgehen und so herausfinden, wie wir von der U-Bahn zur nächsten Busanbindung oder z.B. direkt ins Blindenheim kommen können. Während wir uns oben befanden, probierten wir auch die Blindenampel aus. Das Auffindesignal beschreibt ein Ticken, das sich je nach Verkehrslage von der Lautstärke her anpasst. Je mehr Autos fahren, desto lauter wird das Ticken. Die unterschiedlichen Hinweispfeile, die an der Ampel angebracht sind, lassen entnehmen, wie überquerungssicher die kommende Straße ist. Ein Pfeil mit einem kleinen Punkt direkt dahinter zeigt beispielsweise an, dass man dabei ist, eine Straße mit einer Mittelinsel zu überqueren und sich auf dieser Insel eine Fußgängerampel befindet.
Die Oberfläche mit all ihren Merkmalen zeigte uns Ines Hübschmann, Mobilitätstrainerin im Rehabereich des bbs nürnberg. Natürlich wurden wir auch gleich getestet, ob wir das System verstanden haben, indem wir sie zurück zur U-Bahn führten.
Die vorletzte Station befasste sich mit dem U-Bahnfahrzeug selbst. Wir durften in der U3 die Innenausstattung erkunden, den Notruf tätigen und hören, wer sich wie schnell meldet. Einige probierten auch aus, wie sensibel die angebrachten Sensoren an den Türen sind, indem sie etwas dazwischen hielten. Zuletzt wies Herr Zeitler auf die wohl größte Gefahr hin, die man beim Betreten der U-Bahn erleben kann. Der Kopplungsbereich besteht aus einer sehr breiten Lücke, die ein blinder Mensch unvorsichtig schnell für eine Tür halten kann. „Mir ist sehr wichtig, dass Sie immer mit dem Stock fühlen, ob Sie Boden unter ihm haben, bevor Sie einsteigen“, legte er uns ans Herz. Die Züge selbst werden gerade tagsüber gekoppelt, wenn hoher Personenverkehr herrscht.
Die letzte Station fanden die Meisten doch am Interessantesten. Durch eine Treppe gelangten wir nach unten auf die Gleise und durften uns alles, was dazugehört, genau ansehen und ertasten. Dabei wurde erst einmal jedem bewusst, wie tief man tatsächlich fallen kann. Zusammen mit Herrn Zeitler gingen wir den Gleisbereich entlang und tasteten die Stromschiene ab, die im Normalfall mit ca. 750 Volt geladen ist. In den Sicherheitsraum durften wir auch kriechen, damit wir wissen, wie wir uns für den „Fall des Falls“ retten können. Erstaunlich fanden die Schüler die ganze Technik, wie z.B. den Gleiswächter, die hinter dem ganzen Bau steckt. Einige Schüler hatten viele Fragen und durften sie auch stellen.
Das bbs nürnberg bedankt sich bei allen Mitwirkenden dieser Veranstaltung, insbesondere bei der VAG und der Stadt Nürnberg, für diese kompetente Führung, die den Schülern sehr viele Erlebnisse und Informationen bot. Die Fragen wurden mit größter Zufriedenheit beantwortet und die Atmosphäre im Allgemeinen war sehr angenehm.
Zuletzt möchte ich noch ein paar persönliche Eindrücke einzelner Schüler zu Papier bringen.
Jessica Krämer (BB 3): „Ich fand es sehr interessant und eine tolle Möglichkeit, die uns gegeben wurde, die U-Bahnstation erkunden zu können. Denn im Alltag kriegt man das ja alles nicht so mit.“
Dimitrios Kapsis (BB 2): „Ich fand das Interessanteste waren das Gleisbett und der damit verbundene Sicherheitsraum. Toll, dass wir da mal runterdurften!“
Maxim Medvedev (IK 2): „Ein sehr tolles Erlebnis, nicht nur für blinde Menschen. J“
Kübra Celik (SDM 2): „Ich fand es super, dass wir runter auf’s Gleis durften. So konnte ich für mich herausfinden, wie hoch die Bahnsteigkannte ist und wie ich mich trotz allem retten kann.“
Franci Di Nato (IK 2)
Weitere Infos: https://www.vag.de/vag-erleben/aktuelles/detail/article/blinde-und-sehbehinderte-ertasten-neuen-u3-bahnhof-nordwestring.html